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Jüdisches Leben in Eimsbüttel

In den letzten Jahren haben antisemitische Äußerungen in der Öffentlichkeit nachfolgenden antisemitischen Taten den Weg bereitet. Das Spektrum reicht von Spuck- und Prügelattacken bis hin zum mörderischen Anschlag auf die SynagogenbesucherInnen in Halle – es ist ein Klima entstanden, das noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen ist, ein Klima, das nicht nur bei den Betroffenen Ängste schürt, sondern dem wir als Geschichtswerkstatt unbedingt etwas entgegen setzen müssen.

 

Das Wissen um die deutsche Geschichte verhindert nicht immer autoritäre Einstellungen, Hass und Unmenschlichkeit, aber wir hoffen, dass das Wissen um die deutsche Vergangenheit und die Schuld zur Wachsamkeit und zum Wunsch führt, die gegenwärtige Entwicklung nicht unkommentiert geschehen zu lassen, sondern ihr etwas entgegenzusetzen.

 

Auch deshalb hat sich die Geschichtswerkstatt in der Galerie Morgenland immer schon mit der Geschichte der Juden in Eimsbüttel und darüber hinaus befasst. In unserem Stadtteil, in dem früher und heute wieder jüdische Einrichtungen existier(t)en, haben wir eigene Forschungsprojekte durchgeführt, deren Ergebnisse in Publikationen, Ausstellungen und Rundgängen bekannt gemacht und wir haben uns im Vortragsprogramm der letzten 30 Jahre immer wieder mit Themen der jüdisch-deutschen-europäischen Geschichte beschäftigt.

 

Frühere Wohngebiete jüdischer Menschen in Eimsbüttel

Die Geschichte der Juden in Eimsbüttel reicht weit zurück: Ab Ende des 19. Jahrhunderts zogen viele jüdische Hamburger aus der Alt- und Neustadt, wo 1871 noch drei Viertel aller Hamburger Juden ansässig waren, nach Harvestehude, Rotherbaum und Eppendorf. Um 1900 hatten sich in Rotherbaum und in Harvestehude ca. 40 Prozent aller im städtischen Teil Hamburgs lebenden Juden angesiedelt. Eimsbüttel grenzt an Rotherbaum und Harvestehude an, und so ließen sich auch hier Juden nieder, zumal viele jüdische Einrichtungen im Grindel vom Eimsbütteler Gebiet noch gut zu Fuß zu erreichen waren.

 

Zwischen Isebek und Schlump entstanden in den 1910er und 1920er Jahren mehrere jüdische und paritätische Stiftsgebäude, so das Oppenheimer’s Stift in der Kielortallee 22 und 24, das Z.H. May und Frau Stift in der Bogenstraße 25 und 27, das S.S. Rosenthal Altenhaus in der Kielortallee 23, das Max und Mathilda Bauer Stift in der Kielortallee 25 und das Theodor-Wohlwill-Stift in der Kielortallee 26. Die ehemaligen Grundstücke Schäferkampsallee 25, 27 und 29 gehörten der Deutsch-Israelitischen Gemeinde. Diese hatte das Grundstück Schäferkampsallee 29, das mit einer repräsentativen zweistöckigen Villa bebaut war, schon 1898 erworben, um dort ein Siechenheim einzurichten. 1928 kaufte die DIG auch das Nebengrundstück mit dem Doppelhaus Nr. 25/27 und nutzte es für wechselnde karitative Aufgaben, so für ein Jugendheim, einen Kinderhort oder eine Volksküche. Ende August 1942, während des Krieges, musste das Jüdische Krankenhaus mit noch 47 Patienten in das ehemalige Siechenheim umziehen. Bis zum Juni 1943 deportierte man auch die letzten Patienten. Die beiden Häuser Schäferkampsallee 25 und 27 wurden versiegelt und beschlagnahmt. Im Sommer 1943 trafen Bomben die drei Gebäude Schäferkampsallee 25, 27 und 29.

 

Religiös lebende jüdische Familien, die zur Schicht der Kaufleute und Angestellten gehörten, wohnten bevorzugt im Gebiet zwischen Eimsbütteler Chaussee, Schäferkampsallee, Bismarckstraße und Schlump. In Eimsbüttel-Nord hingegen lebten viele Menschen, die sich nicht oder nicht mehr zur jüdischen Religion bekannten und sich nicht in erster Linie über ihre Religion definierten. Sie hatten sich assimiliert, hatten sich taufen lassen oder waren atheistisch, waren vielleicht „Mischehen“ eingegangen oder fanden ihre Identität eher in der Arbeiterbewegung als in der Jüdischen Gemeinde.

 

1925 lebten nach Angaben der amtlichen Statistik 1334 Jüdinnen und Juden in Eimsbüttel, das waren 1,08 Prozent der Bevölkerung. Zu diesem Zeitpunkt wie auch bei der nächsten Volkszählung 1933 wurden als Juden Personen erfasst, die einer Jüdischen Gemeinde angehörten. In den Volkszählungsdaten vom Mai 1939 hatte sich Entscheidendes verändert: die Zugehörigkeit zur jüdischen Minderheit wurde nun „rassisch“ definiert („Juden“ und „Mischlinge 1. Und 2. Grades“). Fast alle Jüdinnen und Juden, die sich der Verfolgung durch Emigration und Flucht hatten entziehen können, hatten die Stadt bereits verlassen, und aus den ländlichen Gebieten waren Juden in die Großstadt gezogen, wo sie sich unter Glaubensgenossen sicherer wähnten. 1939 lebten nach der NS-Definition in Eimsbüttel 1455 Juden, d.h. 799 „Juden“, 391 „Mischlinge 1. Grades“ und 265 „Mischlinge 2. Grades“. Das entsprach 1,2 Prozent der Bevölkerung.

 

Arbeitsgruppe erforscht Schicksal jüdischer Menschen

1986 bildete sich in der Galerie Morgenland, initiiert von Beate Meyer, eine Arbeitsgruppe von fünf Frauen, die das Schicksal jüdischer Menschen in Eimsbüttel zwischen 1933 und 1945 erforschen wollte. Dabei ging es auch darum, möglichst viele Namen von jüdischen Menschen zu finden, die vor 1933 im Stadtteil gelebt hatten und dann ab 1933 erniedrigt, verfolgt, vertrieben und ermordet wurden.

 

bucky.jpg (588 KB)In den 1980er Jahren lebten noch ZeitgenossInnen, die sich an jüdische BewohnerInnen erinnerten, die vor 1933 den Stadtteil mitgeprägt hatten. Sie erinnerten sich an LehrerInnen, Ärzte und Ärztinnen, Apotheker und LadeninhaberInnen. In der Eimsbütteler Chaussee 4 z.B. machte das Kaufhaus von Carl Bucky mit einer Leuchtreklame auf sich aufmerksam „Auch die Tante aus Kentucky geht zum Ausverkauf nach Bucky“, reimten die Kinder. In der Osterstraße befand sich die Hautklinik der Familie Unna, die 1883/84 in der damals noch ländlichen Idylle vor den Toren der Großstadt errichtet worden war und unter anderem Leprakranke aus aller Welt behandelte. Die Osterstraße war damals noch ein Weg und hieß Parkstraße. Erst 10 Jahre später wurde Eimsbüttel ein Hamburger Stadtteil. Heute erinnert der Unnapark an die Familie Unna und an die Klinik, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.

 

Wir haben die Namen von 53 jüdischen Ärztinnen und Ärzten sowie Zahnärzten gefunden, die im Stadtteil wohnten oder arbeiteten. 1936 praktizierten noch zehn von ihnen in Eimsbüttel, zwei Jahre später waren es nur noch vier, denn nach 1933 emigrierten viele jüdische Ärzte.

 

Wir haben die Namen von acht jüdischen Lehrerinnen gefunden, die in Eimsbüttel unterrichteten, aus dem Schuldienst entlassen und 1941 oder 1942 deportiert wurden, und vier Namen von jüdischen LehrerInnen, die in Eimsbüttel wohnten.

 

wo_wurzeln_waren.jpg (274 KB)Es gelang, die Namen von insgesamt ungefähr 1500 jüdischen Menschen zu dokumentieren. Quellen waren seinerzeit Zeitzeugeninterviews, Deportationslisten, Akten des Staatsarchivs wie z.B. Akten des Oberfinanzpräsidenten, jüdische Zeitungen u.a.. Präsentiert wurden die Ergebnisse 1993 in dem Buch „Wo Wurzeln waren…“, das inzwischen vergriffen ist.

 

Unsere aus diesen Forschungen entstandenen Stadtrundgänge in Rotherbaum, Eimsbüttel-Süd und Eimsbüttel-Nord fanden großes Interesse, und der 1989 von Beate Meyer und der Mediengruppe Stadtjournal gedrehte Videofilm „Ich war rassisch halb“ mit Eimsbütteler Zeitzeugen wurde vielfach in der Galerie und anderenorts gezeigt und vom Landesmedienzentrum für den Einsatz an Schulen angekauft. 1990 konnten wir eine Ausstellung über die emigrierte Familie Lehmann, die von einer Nachfahrin in England erarbeitet worden war, mit Unterstützung des Bezirks nach Eimsbüttel holen, selbst übersetzen und in den Räumen der Galerie zeigen.

 

War es in den 1980er Jahren oft noch schwierig, an die Quellen zu kommen, so verbesserten sich in den folgenden Jahren die Möglichkeiten kontinuierlich, da z.B. die Wiedergutmachungsakten zugänglich gemacht wurden und die Bestände des Staatsarchiv digital besser erschlossen wurden. Die Bestände der Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution, von Yad Vashem in Israel, die Akten des Gettos Lodz und viele andere konnten nun herangezogen werden. Außerdem war die jüdische Geschichte schon in vielen kleineren Städten und Gemeinden der Bundesrepublik sehr gut erforscht worden und von dort kamen Informationen über nach Hamburg zugezogene Juden.

 

Jüdische Biografien erforscht und dokumentiert

 

Stolpersteine.JPG (51 KB)2006 ergriffen die Landeszentrale für politische Bildung und das Institut für die Geschichte der deutschen Juden IGdJ in Person von Dr. Rita Bake und Dr. Beate Meyer die Initiative zur Erforschung der Biografien der Menschen, für die in Hamburg Stolpersteine verlegt wurden. Die Ergebnisse sind auf der website www.stolpersteine-hamburg.de und in Büchern dokumentiert. In den zwei Bänden „Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel und Hamburg-Hoheluft-West“ von Susanne Lohmeyer u.a. wurden Biografien Eimsbütteler Juden veröffentlicht, die die NS-Zeit nicht überlebt hatten und an die heute Stolpersteine erinnern.

 

 

Blachstein_Bio.png (203 KB)2014 veröffentliche die Geschichtswerkstatt Galerie Morgenland auch das Buch „Peter Blachstein. Von der jüdischen Jugendbewegung zur Hamburger Sozialdemokratie. Biografie eines Sozialisten (1911 bis 1977)“, dessen Autor der Historiker Ludger Joseph Heid ist. Peter Blachstein hat lange in Eimsbüttel gelebt. Von 1949 bis 1968 war er SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag für den Wahlkreis Hamburg-Eimsbüttel

 

 

 

Marions_Buch_Baruch.png (263 KB)2016 bekam die Galerie Morgenland Geschichtswerkstatt Eimsbüttel Kontakt zu Lior Oren, dem Nachkommen einer Hamburger jüdischen Familie, der jetzt wieder in Hamburg lebt. Er besaß humoristische aquarellierte Zeichnungen seiner Großtante Marion Baruch, die als junge Frau zusammen mit ihrem Vater Georg nach Minsk deportiert und ermordet wurde. Marion Baruch hatte ihrer Schwester Helga zur Hochzeit 1936 ein selbstgestaltetes Buch geschenkt, kurz bevor das junge Ehepaar nach Palästina auswanderte. Die Zeichnungen wurden in der Galerie Morgenland ausgestellt und der Begleitband „Marions Buch »Ach schau an, und wer küsst mir?« entstand, der den kurzen Lebensweg der Marion Baruch enthält. Auch Marions Bruder Rolf überlebte die NS-Zeit nicht, er starb 1945 auf einem Todesmarsch. Der Schweizer Schriftsteller Urs Faes hat in seinem Roman „Sommer in Brandenburg“ das Schicksal von Rolf Baruch fiktiv bearbeitet. Am 10. September 2019 übergab die Württembergische Landesbibliothek in den Räumen der Galerie Morgenland 14 Bücher an Lior Oren, denn seit drei Jahren läuft in der Bibliothek ein Projekt zur Suche nach NS-Raubgut und dabei wurden 14 Bücher aus der Bibliothek des jüdischen Ehepaars Georg (1881–1941) und Irma Baruch (1887–1936) aus Hamburg gefunden. Jedes dieser Bücher ist mit dem Exlibris des Ehepaars versehen.

 

Die hier kurz skizzierten Aktivitäten sind nur einige der vielfältigen Bemühungen der Geschichtswerkstatt Eimsbüttel um die jüdische Geschichte des Stadtteils. Wir haben versucht, Brücken zu Nachkommen von vertriebenen Juden in aller Welt zu bauen und im Laufe der dreißig Jahre unseren BesucherInnen und TeilnehmerInnen an unseren Angeboten ein grundlegendes Wissen über diese ehemaligen und heutigen BewohnerInnen des Stadtteils zu vermitteln, über ihr Leben, ihre Ausgrenzung und Verfolgung und die Zerstörung und den Wiederaufbau ihrer Einrichtungen. Wir hoffen, dass dieses Wissen dazu beiträgt, die Vielfalt der BewohnerInnen des Stadtteils zu schätzen, Formen der Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus zu erkennen und dem gemeinsam entgegenzutreten.