Einführung in die Geschichte Eimsbüttels
Wohnen in Eimsbüttel
Eimsbüttel wird Stadtteil
Am 1. Juli 1894, wurde Eimsbüttel Hamburger Stadtteil. An diesem Tag trat das am 22. Juni vom Senat in Übereinstimmung mit der Bürgerschaft beschlossene „Gesetz, betreffend die Vereinigung der Vorstadt St. Pauli, der Vororte u. w. d. a. mit der Stadt“ in Kraft. Alle „für die Stadt geltenden Gesetze und Anordnungen, sowie die hinsichtlich der Zuständigkeit der Behörden in der Stadt maßgebenden Vorschriften“ fanden hier nunmehr „entsprechende Anwendung“. Gleichzeitig mit Eimsbüttel wurden außer St. Pauli und einigen zur Landherrenschaft der Marschlande gehörenden Elbinseln folgende 14 Vororte eingemeindet: Rotherbaum, Harvestehude, Eppendorf, Winterhude, Barmbek, Uhlenhorst, Hohenfelde, Eilbeck, Borgfelde, Hamm, Horn, Billwerder Ausschlag, Steinwärder und Kleiner Grasbrook. Das Datum erinnert jedoch nicht an einen „Geburtstag“ im eigentlichen Sinne, sondern an einen Gesetzesakt, mit dem ein mehr als dreißig Jahre zuvor begonnener, in Eimsbüttel in atemberaubendem Tempo sich vollziehender Verstädterungsprozeß festgeschrieben wurde. 1894 war aus dem ehemaligen Dorf, das im Jahr 1810 erst 364 Seelen zählte, ein städtisches Wohnquartier mit gut 50 000 EinwohnerInnen geworden.
Die rasante Entwicklung Eimsbüttels von der idyllischen Sommerfrische zu Hamburgs größtem Stadtteil in zwei Generationen – von den Zeitgenossen, die den „riesigen Umwälzungen“ kaum folgen konnten, selbst im Vergleich mit den ebenfalls schnell expandierenden übrigen Stadterweiterungsgebieten als „abnorm“ empfunden – begann 1861 mit der Aufhebung der Hamburger Torsperre. Erst zu diesem Zeitpunkt gab die starke Lobby der Grundeigentümer, die zäh an ihr festgehalten hatte, um die Mieten innerhalb des alten Befestigungsringes künstlich in die Höhe zu treiben, ihren Widerstand gegen alle Bemühungen auf, dieses mittelalterliche Relikt abzuschaffen. Es stand im krassen Widerspruch zu der immer größer werdenden Bedeutung Hamburgs als Handelszentrum.
Als nach der Niederlage Napoleons die Kontinentalsperre gegen Großbritannien aufgehoben wurde, war die Hamburger Wirtschaft größte Nutznießerin des Importhandels mit England; der Transatlantikhandel florierte seit dem Handelsvertrag mit den USA von 1827 und der Befreiung der lateinamerikanischen Kolonien in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts; in den 30er Jahren dehnte Hamburg seine Handelsbeziehungen auf Afrika, zehn Jahre später auf Südostasien aus. Die Entfaltung gewerblicher Interessen blieb bis Anfang der 60er Jahre durch den Zunftzwang behindert; erst als sich Hamburg 1865 mit der Einführung der Gewerbefreiheit eines weiteren anachronistischen Erbes entledigte, war die Voraussetzung für eine schnelle Steigerung der industriellen Produktionsraten geschaffen. Bis zum Ende des Jahrhunderts entwickelte sich die Hansestadt zum führenden Handelszentrum des Kontinents, nach der Jahrhundertwende zur zweitgrößten Industriestadt des Deutschen Reiches.
Der wirtschaftliche Aufstieg Hamburgs war von einem sprunghaften Bevölkerungswachstum begleitet: Die EinwohnerInnenzahl stieg bis 1891 von einer guten Viertelmillion im Jahr 1866 auf mehr als 600 000, nach Beginn der Hochkonjunkturphase Mitte der 1890er Jahre auf etwa eine Dreiviertelmillion um die Jahrhundertwende an und sollte kurz vor dem Ersten Weltkrieg die Millionengrenze überschreiten. Die Industrie- und Handelsmetropole zog immer mehr Menschen aus dem agrarisch geprägten schleswig-holsteinischen und mecklenburgischen Hinterland, aber auch aus entfernteren Gebieten des Reiches an; unter ihnen deckte die Stadt ihren wachsenden Bedarf an qualifizierten Handwerkern, Facharbeitern und Bürokräften; die ostpreußischen und polnischen Zuwanderer dienten dagegen als Reservearmee für die unzumutbaren und schlechtbezahlten Arbeitsplätze. Die Masse der von auswärts nach Hamburg drängenden Menschen hatte längst die Kapazität der innerstädtischen Bezirke gesprengt. Hier wurde die Wohnbevölkerung durch den Prozeß der Citybildung auf die Dauer ohnehin immer stärker verdrängt.
Nach 1861 entstanden in schneller Folge immer neue Wohnquartiere in den ehemaligen Dörfern außerhalb des alten Befestigungsringes. Mit der Differenzierung der Stadtteile nach Klassen und Schichten bildete sich die soziale Topographie Hamburgs heraus, wie sie zum Teil bis heute Gültigkeit behalten hat. Die Viertel um die Außenalster galten und gelten als „beste Adressen“; von hier aus nahm dann stufenweise die Wertschätzung ab. Eimsbüttel gehörte zu den damals weniger prestigeträchtigen Gründerzeitvierteln zweiten oder dritten Ranges, die jedoch inzwischen eine erhebliche Aufwertung erfahren haben und zu den beliebtesten Wohngebieten Hamburgs geworden sind.
Die „Versteinerung“ Eimsbüttels:
Vom Dorf zu Hamburgs größtem Stadtteil
Die Äcker und Wiesen des dörflichen Hamburger Umlandes wurden zu Goldgruben für Grundstücksspekulanten. Sie kauften größere Landstücke auf, legten hier Privatstraßen an und parzellierten die Flächen, um sie an Bauunternehmer weiterzuverkaufen, die dort möglichst schnell auf Vorrat Häuser, vielfach sogar ganze Straßenfronten aus dem Boden stampften und ihrerseits mit der sofortigen Weiterveräußerung Gewinne zu erzielen hofften. Diese rapide Stadterweiterung vollzog sich ausschließlich profitorientiert und weitgehend anarchisch. Die Stadt beschränkte sich auf Genehmigungsverfahren für die Aufteilung der Grundstücke und die Anlage von Privatstraßen, die sie dann später nach erfolgter Teilbebauung übernahm, wenn sie auf Kosten der Anleger neureguliert und gepflastert worden waren. Als für eine kommunale Planung mit dem Bebauungsplangesetz von 1892 die Grundlage geschaffen worden war und bis 1914 nacheinander Bebauungspläne für die einzelnen Stadtteile aufgestellt wurden, konnten häufig nur längst vollendete städtebauliche Tatsachen festgeschrieben werden.
Die Karte der Vogtei Eimsbüttel von 1867 gewährt einen Einblick in ein erstes Zwischenstadium auf dem Weg des ehemaligen Dorfes zur „Verstadtlichung“ und „Versteinerung“. Noch waren weite Teile unbebaut und wiesen die alten Flurnamen auf. Im Dreieck zwischen Weidenallee, Schäferkampsallee und Kleinem Schäferkamp und südöstlich des alten Dorfkerns zwischen Marktplatz und Eppendorfer Weg zu beiden Seiten der Fruchtallee und der Eimsbütteler Chaussee hatte jedoch bereits eine verdichtete Bebauung eingesetzt. Bodenspekulant Tornquist war auf dem Osterkamp aktiv geworden, hier waren inzwischen Osterstraße, Henriettenstraße und Emilienstraße (letztere benannt nach seinen Töchtern) entstanden; Sandweg, Charlottenstraße, Paulinen- und Sophienallee und Eduardstraße (zur Verewigung von Frau und Sohn des Mitbesitzers Ephraim) sowie Wiesenstraße und Meißnerstraße waren angelegt, ihre Grundstücke zumeist schon parzelliert, wenn auch, mit wenigen Ausnahmen, noch kaum bebaut.
In den 1870er Jahren schwand der dörfliche Charakter Eimsbüttels immer mehr. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts überschritt die EinwohnerInnenzahl die 10 000er-Grenze, verdoppelte sich bis Anfang der 1880er Jahre und verdreifachte sich erneut bis zur Jahrhundertwende auf 64 748. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wuchs sie auf mehr als 100 000 an. Eimsbüttel bildete innerhalb der zur Millionenstadt aufgestiegenen Hansestadt eine eigene Großstadt, in der zu Beginn des Ersten Weltkrieges 126 420 Menschen lebten. Der de-facto-Verstädterung, die hier und in den anderen Stadterweiterungsgebieten wildwüchsig vor sich ging, trug Hamburg dadurch Rechnung, daß es die eingangs bereits aufgeführten, 1894 endgültig als Stadtteil eingemeindeten Ortschaften 1871 der Verwaltung durch die städtischen Behörden unterstellte. 1874 wurde Eimsbüttel wie die anderen Gebiete mit dem neuen Status eines Vororts zu steuerlichen und statistischen Zwecken neu eingeteilt. Schrittweise dehnte Hamburg die Zuständigkeiten seiner Polizei-Behörde (1875), seines Justizwesens (vom Ende der 1860er bis Mitte der 1870er Jahre), seines Schulwesens (1877), seines Steuer- und Abgabewesens (1881) und seines Armenwesens (1892) auf die Vorstädte aus.
Der Vermessungsplan von 1885 macht die nächsten Etappen der Veränderung deutlich: In den 1870er Jahren war der an den Blockrändern schon bebaute Teil des Schanzenviertels im Innern weiter ausgebaut und das westliche Gebiet zwischen Weidenallee, Eimsbütteler Chaussee, Fruchtallee und der Grenze nach St. Pauli mit einem Straßennetz durchzogen worden. Hier, wo die Bebauung verstärkt im folgenden Jahrzehnt einsetzte, erinnert die Fettstraße an einen der rührigsten Spekulanten. Der Bereich zwischen Eimsbütteler Chaussee und der Landesgrenze war ebenfalls zum Häusermeer geworden, die Meißnerstraße dicht bebaut. Die Bismarckstraße, von der Hoheluftchaussee und vom Weidenstieg her angelegt, war im Abschnitt zwischen Osterstraße und Scheideweg noch nicht ausgebaut, hatte aber ihre südlichen Querstraßen, v.-d.-Tann- und Tegethoffstraße, bereits erhalten. Hohe Weide und Moorkamp existierten als Stumpf an der Fruchtallee. Im Nordosten des Dorfes hatte der alte Kirchenstieg den Namen Im Gehölz bekommen und umschloß jetzt zusammen mit der Straße Am Weiher, Ottersbekallee und Lockstedterweg (später Eidelstedterweg, heute Unnastraße) den 1875 zum öffentlich zugänglichen Park umgestalteten Teil des ehemaligen Lutterothschen Anwesens. Im äußersten Nordwesten Eimsbüttels, an der westlichen Seite des Langenfelder Dammes und an der Müggenkampstraße waren geschlossene Häuserzeilen entstanden, die frühesten zwei- oder dreistöckigen Bauten noch für Handwerker- und Gewerbetreibende, die späteren hohen Etagenbauten bereits als Arbeiterquartiere. Dieses Gebiet mit seiner bis heute charakteristischen Mischnutzung für Wohnungen und kleine Gewerbebetriebe bildete vorerst eine Exklave des Vororts, denn Dovekamp und Hegen waren immer noch Freifläche, wenngleich schon von der verlängerten Osterstraße durchschnitten, die damals noch Parkallee hieß.
Fünf Jahre später standen auch hier, im Bereich ihrer Kreuzung mit der neuangelegten Querstraße (zuerst 1. Parkstraße, später Schwenckestraße genannt) und an der Nordostseite zwischen ihr und dem späteren Hellkamp (zunächst 2. Parkstraße) die ersten Häuser. Das Gebiet zwischen Eppendorfer Weg und Isebek westlich der Osterstraße war ebenso bebaut wie die Anfänge von Moorkamp und Hohe Weide. Am Scheideweg hatte die Hammonia Brauerei 1886 ihr Brauhaus in Betrieb genommen, und in ihrer Nähe verzeichnete der Plan jetzt Tresckowstraße und Goebenstraße. „Die Gebäude Alt-Eimsbüttels, welche an die Zeit erinnern, als Eimsbüttel noch ein Dorf bei Hamburg war, verschwinden immer mehr von der Bildfläche. Allerdings passen diese alten Häuser meistens auch nicht mehr in den Rahmen ihrer Umgebung. (...) Die Häuser mit Strohdach sind jetzt bis auf 2 oder 3 verschwunden. Aber auch die alten Gartenhäuser werden weniger. Viele derselben sind der Speculation zum Opfer gefallen und an ihrer Stelle erheben sich hohe Etagenhäuser, vielleicht sogar Terrassen“, meldeten die „Hamburger Nachrichten“ am 12. Juli 1896.
Ein Jahr nach der Jahrhundertwende war die Lücke zum früher bebauten Nordwesten geschlossen. Die Stadt hatte sich bis zur Methfesselstraße (so hieß jetzt die 3. Parkstraße) ausgedehnt, die Bebauung in diesem Bereich durch Anlage der Romberg- und Mendelssohnstraße (von den Nationalsozialisten in Schopstraße umbenannt) noch verdichtet. Auch im Dreieck zwischen Lappenbergsallee, Faberstraße und Eimsbütteler Marktplatz reihte sich eine Mietskaserne an die andere. 1911 hatte sich die Häuserlawine auch über die letzten Reste des Dorfes ergossen. Zuerst erreichte sie die Rellingerstraße mit ihren vielen kurzen Querstraßen und wenig später die Sillemstraße. „Wo noch vor Jahresfrist eine ansehnliche Laubenkolonie war und die kleinen Leute ihr Gemüse bauten und ihre Kartoffeln pflanzten“, waren 1907, wie der „Hamb. Correspondent“ am 31. Mai 1907 meldete, „neue Straßenzüge ausgelegt“: Lutterothstraße, Odenwaldstraße und Prätoriusweg; die ehemaligen Schachtschen Wiesen, von den Bauspekulanten Süchting, Rick und Levy erworben, durchzogen jetzt der verlängerte Heußweg und der Lastropsweg, zur selben Zeit entstanden die Sartoriusstraße und – als berüchtigter „Hypothekenfriedhof“ – der Luruper Weg, nach Meinung des „Hamburger Fremdenblattes“ vom 30. Juli 1910 „keineswegs eine Zierde von Eimsbüttel“, aber mit ihren billigen Wohnungen eine Straße für kleine Leute. Hier, im „Klein- Moskau“ der zwanziger Jahre, entstand der Mythos vom „roten Eimsbüttel“.
Im Sommer 1910 waren viele Häuser im letzten großen neuen Stadtviertel an der Nordwestgrenze Eimsbüttels zu Lokstedt fertig gebaut und bezogen, „meist kleine und mittlere Wohnungen“, die „den Vorzug (haben), daß sie unmittelbar an der Grenze des Landgebietes liegen und sich so die Vorteile des Stadt- und Landlebens gewissermaßen in ihnen vereinigen lassen.“ („Hamburger Nachrichten“ vom 28. Juli 1910) An der Osterstraße war die „Vermehrung von Läden erschreckend“. Hier und in der Müggenkampstraße wurden „die kleineren und älteren Häuser abgebrochen und durch große Etagenhäuser ersetzt.“ Während die Neubauten in West-Eimsbüttel nach Einschätzung der zeitgenössischen Presse „hauptsächlich der Ansiedlung kleiner Leute“ dienten, schossen in der Nachbarschaft des Eppendorfer „Generalsviertels“ um die Bismarckstraße „hübsche Bauten, die größtenteils mittelteure Wohnungen enthalten werden, wie Pilze aus dem Boden.“
Nunmehr war Eimsbüttel „allerdings an der Grenze seiner baulichen Kapazität angelangt.“ Der Gründungsboom endete kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit dem spekulativen Kraftakt des Bauunternehmers Harmening, der 1911/12 den gesamten Häuserbestand der Clasing- und Selliusstraße aus einem Guß hochziehen ließ.
[Quelle: Sielke Salomon: Eimsbütteler Facetten 1894–1994. Einblicke in 100 Jahre Stadtteilgeschichte.Hg. v. der Galerie Morgenland. 3. Auflage. Hamburg 1999. S. 3-6]